Kriya Yoga – zur Tiefe deiner Natur


Die Entscheidung für Stabilität und ein ständiges Pulsieren von Energieströmen wird zur größtmöglichen Energieansammlung und zum größtmöglichen Grad von Ordnung der Energie führen.” ( Energy flow in Biology von H. J. Morowitz)

Mind over matter sagt man auf Englisch – der Geist herrscht über die Materie. Gedanken können sowohl einen selbst als auch die Umgebung beeinflussen, im Guten wie im Schlechten. Dies ist wohl eine weit verbreitete Ansicht.

In der Medizin spricht man vom Verhältnis zwischen Psyche und Soma, zwischen Geist und Körper, davon, dass die Gesundheit in hohem Maße von Vorstellungen und Gemüt abhängig ist.

Aber kann man bewusst über Geisteszustände, Gedanken, Gefühle und Reaktionen herrschen – Kräfte, denen der Mensch normalerweise unterliegt? Kann man lernen den Geist zu steuern, sodass man den Körper, Begebenheiten, das Zusammenleben mit anderen usw. besser beeinflussen kann? Und falls ja, wie?

Wie kann man sich über Hemmungen und Gewohnheiten hinwegsetzen? Dies wird oftmals zu einer Anstrengung, einer Frage von Willensstärke, man muss sich entschließen und dazu zwingen, z. B. mit dem Rauchen aufzuhören. Es gibt einen Zweig des Yoga, der Raja Yoga heißt. Hier wird das Ideal aufgestellt, den Geist kontrollieren zu können, verkettet mit strengen Forderungen an die Lebensführung. Kann man es in diesem Zusammenhang vermeiden in Schuldgefühlen zu landen, in Neurosen und Intoleranz, isoliert von anderen Menschen? Und gibt es in diesem Fall andere Möglichkeiten in der tantrischen Tradition?

Kann man überhaupt auf den Geist und somit der Persönlichkeit, als dem Innersten und dem Steuernden in seinem Leben, zählen? Hat die Persönlichkeit den notwendigen Überblick? Oder ist sie nicht gerade aufgebaut auf Gewohnheitsmeinungen, Auffassungen und Vorstellungen, an die sie sich klammert? Eine Konformität, die weit davon entfernt liegt frei zu sein, die aber die Ursache für Mutlosigkeit und Handlungslähmung und sogar für Krankheit ist, und die bewirkt, dass wir rücksichtslos einander dominieren oder einander unterliegen.

In der Wissenschaft z. B., werden viele Forschungsergebnisse nicht veröffentlicht aus Rücksicht auf die Karriere und weil man einem Vorgesetzten gefallen muss.

Wenn man von Befreiung spricht, heißt das denn nicht gerade, sich frei machen zu können von den ‚Programmen‛, die das Leben steuern, sodass man wirklich eine Wahl treffen kann und mit einer Konsequenz handeln kann, die über unsere gewohnten Vorstellungen von uns selbst und von der Welt hinausreicht?

Es reicht nicht allein einzusehen, dass die eigenen Vorstellungen und Reaktionen begrenzt sind. Es reicht nicht allein, alte Gedanken- und Gefühlsmuster hervorzurufen und wieder zu erleben, das bewirkt nur, dass man mehr selbstbezogen wird und sich noch stärker allein an die Dimension der Persönlichkeit bindet.

Durch den Geist herrschst du vielleicht über die Materie, wohlgemerkt wenn du einen starken Geist hast und / oder, wenn du gewöhnliche Suggestionen oder Visualisierungen benutzen kannst. Es ist jedoch besser, sich von alten Programmen frei zu machen, als zu versuchen den Geist umzuprogrammieren. Der Geist will nichts lieber, als dir Tausende von Alibis zu geben: Gefühle, Gedanken, Hoffnung und Glaube an alles mögliche andere als an dich selbst. Du bildest dir ein, dass du den Geist manipulieren kannst und verbleibst auf diese Weise involviert.

Etwas anderes ist es jedoch, sich über die eigenen Begrenzungen sowie über die Begrenzungen der Umwelt, in Form von Erwartungen über Gutes und Böses, hinwegsetzen zu können – sich über die grundlegende Angst, die den Menschen an Gewohnheiten und bestimmte Vorstellungen bindet, hinwegsetzen zu können – und unmittelbar und frei handeln zu können. Hierfür sind gleichzeitig Mut und Energie erforderlich – und ein veränderter Grundzustand, der einen über die Begrenzungen des Geistes und der Persönlichkeit hebt.

Kriya Yoga ist ein Ritus, eine Zeremonie, eine Methode, ein Sadhana. Es ist eine Methode, die eigenen Kräfte zu verfeinern, sodass das individuelle Bewusstsein die Tiefe der eigenen Natur durchdringen kann.” (Swami Satyananda)

Nicht das Ziel, der Weg ist dein Leben

Die spirituelle Dimension hat nichts direkt mit dem Geist zu tun, sie reicht weiter. Man kann den Geist nicht dazu benutzen, sich selbst zu erkennen, da der Geist nur ein Instrument des Selbst in Raum und Zeit ist.

„Kenne dich selbst stand am Eingang zum Orakel von Delphi im alten Griechenland geschrieben. Diese Erkenntnis ist vermutlich in Europa genauso alt wie in Indien, wiederholt von Heraklit, der ca. 500 Jahre v. Chr. lebte. Er war mehr Mystiker als Philosoph, es ging ihm nicht allein darum zu denken, sondern zu erfahren. Er beschrieb zwei Formen des Erlebens: die eine in Kontakt mit dem Ewigen, dem in sich selbst Ruhenden und Unveränderlichen, dem Seienden. Dies ist also nicht etwas, das erst nach dem Tode erlebt wird, sondern eine mögliche Erfahrung hinter oder gleichzeitig mit dem anderen: dem Leben, das wir in ständigem Wandel führen, ein wirbelndes Jagen von Erscheinungen, ohne jegliche Beständigkeit – eine Veränderung, die er mit dem bekannten Zitat beschreibt:

Alles fließt, der selbe Mensch kann nicht zweimal im selben Fluss baden.

Wenn du die Welt jedoch vom Ewigen aus betrachtest, wirst du nicht von den Illusionen mitgerissen, sondern siehst mehr als, das was direkt vor dir liegt. Du erfasst die Einheit in allen Dingen, und aus dieser Erfahrung heraus kannst du dich dem Leben mit Zufriedenheit hingeben – anstatt ständig begierig nach dem nächsten zu jagen.

Einige Generationen später stellt Sokrates die Forderung an seine Zeit: „Kenne dich selbst,” und mit dem Selbst ist nicht die Persönlichkeit oder der Geist gemeint, sondern eher die Seele. Dies ist die Grundlage dafür, dass Sokrates, mit seiner gespielten Unwissenheit und seinen bohrenden Fragen in Platons Dialogen, den Boden unter den hieb- und stichfesten Meinungen und Vorstellungen seiner Zeit wegreißt. Er spricht davon, sich selbst ganz zu kennen, und nicht nur die vielen Gedanken des Geistes und der Persönlichkeit.

Für denjenigen, der nicht ohne weiteres einen Sprung machen kann, hinaus in das, was man als Unbekanntes erwartet - obwohl es ja das eigene Selbst ist und nichts anderes – sondern den Weg schrittweise gehen will, gibt es Werkzeuge für einen unvermeidbaren Befreiungsprozess mitten im Alltag – mitten im Leben, das man immer erfüllter leben kann, mehr und mehr in Übereinstimmung mit sich selbst.

Die Meditation ...

Kann ich lernen meinen Geist, meine Gedanken und Gefühle zu beobachten, mit all dem was an mir reißt und zerrt? Und wenn ich das bewusst tue, kann ich mich über diese Erlebnisse hinwegsetzen – und ich selbst bleiben? Ist das einfach oder bedarf es dazu mehr? Ja, ein gewöhnliches Alltagsbewusstsein schafft das nicht, es wird sich an all das klammern, womit sich die Persönlichkeit identifiziert, was sie als möglich und unmöglich auffasst. Hierzu bedarf es eines anderen Bewusstseinszustandes, der im Selbst ruht – symbolisiert durch den Adler. Diesen erreichen wir in der Meditation.

Aber Bewusstsein und Empfindsamkeit können von größerer oder geringerer Intensität sein. Wenn man das Bewusstsein erweitert, müssen auch die Energie und die Kraft mit folgen. Ein höheres Energieniveau – symbolisiert durch die Schlange – unterstützt die Erweiterung des Bewusstseins und gibt die notwendige Stärke, um sowohl über Materie als auch Geist hinaus zu reichen. Es wird leichter den Überblick zu behalten und die Ganzheit zu erleben, anstatt in einzelnen Gedanken und Gefühlen fest zu hängen. Im ersten Teil dieser Artikelreihe über Kriya Yoga, Kriya Yoga – eine Brücke zwischen der inneren und der äußeren Welt, beschäftigten wir uns mit dem Adler und der Schlange, zwei grundlegenden Funktionen oder Prinzipien hinter dem Leben, hinter der Befreiung und dem spirituellen Wachstum.

Der tantrische Kriya Yoga enthält im Großen und Ganzen drei Gruppen von Werkzeugen, alle zu einem Meditationsritual mit unvermeidbarer Wirkung verknüpft. Sie bestehen aus:

  • Symbolen, Diagrammen und Formen, konzentrierten Visionen, die Schlüssel sind, um den Geist zu öffnen und seine Begrenzungen zu durchbrechen, sodass er in Einklang mit der Ganzheit kommen kann. Ihre Anwendung wird Dharana genannt.
  • Meditationen und ‚Haltungen‛ ( Mudra), die die Ströme der Energie anwenden, reinigen und beeinflussen. Sie stellen die ursprüngliche Form des Energiefeldes des Körpers wieder her, das ansonsten von den Haltungen begrenzt wird, die man gegenüber sich selbst, anderen Menschen und dem Leben im Ganzen hat. Wenn die Energie auf diese Weise gestärkt wird, wird das Bewusstsein auf die Stufe der Seele gehoben: Chakra Vajrohan, Shakti Chalini Mudra, Naumuki Mudra, Maha Mudra u.a.
  • Die Fähigkeit, als ein Zuschauer den Geist zu erleben, du selbst hinter allen Erlebnissen zu sein: In Tibet Maha Mudra genannt (die beste aller Haltungen, die man dem Leben gegenüber haben kann, nicht zu verwechseln mit Maha Mudra im Kriya Yoga) oder in Indien in der Tantratradition Antar Mauna (die Innere Stille, die Dimension hinter allen Erlebnissen, deine wahre Identität) oder Kaivalya im Raja Yoga (der freie Zustand, wo nichts festhängt oder klebt, sondern wo man in allen Situationen eins mit sich selbst bleibt, tolerant und erlebend)

 ... und das Alltägliche

Man kann nicht leugnen, dass dies große Perspektiven eröffnet. Du kannst z. B. einen begrenzenden Geistes- oder Körperzustand stoppen, indem du dein Energieniveau veränderst. Aber hierzu will ich ein Alltagsbeispiel aus meinem Arbeitszimmer geben:

Wenn das Unterrichten die meiste meiner Zeit in Anspruch nimmt, kommt es leicht dazu, dass mein Schreibtisch sich unter der Last der Arbeit biegt, die dort liegt und darauf wartet, erledigt zu werden: Verwaltung, Briefe, die zu schreiben sind, Artikel, die geschrieben werden und Dinge, die aufgeräumt werden müssen. Um all dieser verschiedenen Aufgaben lösen zu können, muss ich mich ‚normalerweise‛ durch Willenskraft in Gang halten. Ich beschließe, das, was ich zu tun habe, eine Aufgabe nach der anderen, zu erledigen, und mühsam grabe ich mich hindurch.

Nach Kriya Yoga hingegen, kann ich mich über mein Zögern und widerstrebenden Haltungen erheben, mein Energieniveau ist so verändert, dass ich aus diesen Bindungen herauskomme und Überblick erhalte. Die erstbeste Aufgabe, die mir ins Auge fällt, erledige ich spontan, und dann ... ja dann fällt mein Blick auf etwas anderes, was dann erledigt wird. Ich frage mich nicht: Was soll ich nun machen und wie? Ich fange damit an, und dadurch wächst die Lust und die Inspiration weiterhin. Das was am meisten eilt, ist oftmals das, was ich als erstes sehe, ohne dass ich mich zwingen muss oder in Stress gerate. Spontan gehe ich zur nächsten Aufgabe weiter, wenn die vorherige gelöst ist.

Kreative Spontanität

Impulshandlungen und Eingebungen bei den Unwissenden, bei den Untrainierten und Undisziplinierten werden oftmals mit Spontanität verwechselt. Diese sind jedoch zufällig und beruhen oft auf selbstbezogenen Wünschen und Gewohnheitshandlungen oder auf etwas zu starren Meinungen – sie sind ohne Verbindung mit der Ganzheit. Kreative Spontanität hingegen ist voll bewusst: Derjenige, der es vermag, sich bewusst der spontanen Handlung hinzugeben, folgt der Inspiration und weiß was er oder sie tut.

Intuition besteht nicht aus unbewussten Einfällen oder Träumen, nicht aus Wünschen oder Idealen. Intuition wird möglich durch (stille) Aufmerksamkeit, eine Aufmerksamkeit, die Signale der inneren und äußeren Ganzheit abliest, ohne dass der Geist eine Möglichkeit hat, sich zu rechtfertigen, sich zu erklären oder zu begründen: warum?

Eine solche Intuition im Alltag macht Handlungen so unglaublich rationell, dass sie in die Ganzheit passen, ohne Rücksicht auf Gewohnheiten und Erwartungen. Intuition erklärt sich nicht, sondern leitet denjenigen, der es vermag sich der bewussten, spontanen Handlung hinzugeben – für die du selbst verantwortlich bist, egal was geschieht, egal wie du verstanden wirst.

 Woher stammt Kriya Yoga?

Ich habe mich früher mit dem Ursprung von Yoga beschäftigt, ohne eigentlich eine endgültige Antwort darauf zu geben, woher er aus ferner Vorzeit stammt, sondern indem ich den Gebrauch von Yogastellungen in verschiedenen früheren Kulturen überall auf dem Erdball nachweise. Im ersten Teil dieser Artikelserie habe ich etwas davon angedeutet, in Form einer ‚Geschichte‛ mit besonderem Hinweis auf Kriya Yoga. Im folgenden Abschnitt will ich mich mit Kriya Yoga im Verhältnis zur ‚neueren‛ indischen Geschichte beschäftigen und gleichzeitig feststellen, dass es verwandte Methoden in China und Tibet gibt.

In den letzten drei Jahrtausenden ist Indien Exporteur für spirituelles Wissen und Religion gewesen. Der Buddhismus ist hier wohl das größte, was an der Oberfläche geschehen ist. Buddha selbst war ja kein Buddhist, sondern ein Hindu, der den Hinduismus reformieren wollte. Dies inspirierte dann auch eine Weile und Indien erlebte eine Blütezeit unter König Ashok. Dann aber verschwand der Buddhismus als volkstümliche Religion aus Indien, man kann sagen er zog ins Ausland, wo er eine dominierende Bedeutung in vielen Ländern Ostasiens bekam.

Unter der Oberfläche findet man in diesen Ländern Yoga oder Meditation als freistehende mystische Tradition. Zu einem früheren Zeitpunkt wurden Teile dieser tantrischen Tradition in die lokalen Religionen aufgenommen, im Hinduismus in Indien, im tibetanischen Buddhismus, im Taoismus in China, im Zen in Japan und zu einem gewissen Grade im Buddhismus an sich in der gesamten Region. Ob Yoga in China ebenso lange im Gebrauch gewesen ist wie in Indien will ich ungesagt lassen, einiges deutet jedoch darauf hin – genauso wie Yoga ja früher Teil von anderen Kulturen auf der Erde gewesen ist, wie gesagt in den Olmek-, Maya- und Zapotek-Kulturen in Mexiko, aber auch den Tumaco- und Qimbaya-Kulturen in Kolumbien und in der alten Kultur der Kelten (siehe auch mein Buch Yoga, Tantra und Meditation im Alltag.)

Der Anwendung von Kriya Yoga vom indischen Mittelalter bis hin in unsere Tage

Ende der 1960er Jahre erschien im Westen ein Buch mit dem Namen Autobiographie eines Yogi - ein zu dieser Zeit ungewöhnlich inspirierendes Buch für diejenigen, die nach den östlichen Lehren suchte, aber gleichzeitig in bestimmten Abschnitten so phantastisch, dass es andere vielleicht dazu veranlasst hat, Abstand davon zu nehmen. Mir selbst hat das Buch etwas gebracht, da ich so auf die Spur von Kriya Yoga kam. Und ich suchte einen Lehrer, der mich in dieser Form der Meditation unterrichten konnte. Es zeigte sich, dass Swami Satyananda, der in Kopenhagen auftauchte und einige Vorträge am Nationalmuseum hielt, dieser Lehrer war. In den Veranstaltungsräumen hatte er einige unscheinbare Broschüren ausgelegt über einen Kurs, den er in Indien hielt, u. a. mit Kriya Yoga. Dies wurde für mich der Anfang einer langen und ergiebigen Freundschaft. Nachdem ich Kriya Yoga auf dem erwähnten Kurs gelernt hatte, blieb ich in Indien und unterwarf mich einem tiefgehenden Training in seinem Ashram – zunächst einmal mit dem Ergebnis, dass er mich dazu brachte, das zu unterrichten, was er mich gelehrt hatte.

Aber auf dem Wege wurden mir einige Ideale genommen, zu Gunsten eines deutlicheren Wirklichkeits-erlebens. Dieses Training beruhte keineswegs auf Büchern oder Dogmen, sondern auf einem direkten Kontakt zwischen Menschen im täglichen Leben. Und Träume wurden ersetzt durch echte Erlebnisse.

Laut Swami Satyananda kommt Kriya Yoga heute von einer Gruppe von Swamis, die ihn von Generation zu Generation geheim gehalten und angewendet haben. In erster Linie, sagt er, kann man ihn zurückverfolgen bis hin zu Sri Shankaracharya im achten Jahrhundert n. Chr. Shankaracharya war, abgesehen davon, dass er ein erleuchteter Mensch war, ein großer Erneuerer und Organisator und ihm schreibt man u. a. die Gründung des Swami Ordens zu.

Vor dieser Zeit verliert sich die Spur, wer dieses esoterische Wissen gebraucht und zu uns überliefert hat, im Anonymen. In den Jahrhunderten nach Shankaracharya gaben die Swamis dieses Wissen nicht an Außenstehende weiter, es war ausschließlich ihnen selbst, den Eingeweihten, vorbehalten. Wie Swami Satyananda einmal zu mir sagte:

Wir benutzen es zu unserem eigenen Nutzen auf dem spirituellen Weg und um anderen besser helfen zu können, aber es ist nicht veröffentlicht worden. Und ich lernte es von meinem Guru Swami Sivananda, als ich bei ihm (12 Jahre) in Rishikesh lebte.”

Das ließ mich fragen:

Aber warum unterrichtet es keiner der anderen Swamis, die auch von Swami Sivavananda kommen z. B. Swami Vishnudevananda in Kanada, Swami Chidananda in Rishikesh und Swami Satchidananda in den USA? Im Großen und Ganzen unterrichten sie ja nichts anderes als Raja Yoga, Mantra Yoga und Hatha Yoga?”

Ich wusste ja, dass Swami Satyananda vor und nach seinem langen Aufenthalt bei Swami Sivananda auch mit Tantrikern in Kontakt gewesen war und dort einiges von dem gelernt hatte, dass er hervorholte und für die Welt enthüllte. Und Kriya Yoga ist definitiv eine tantrische Meditation. Swamiji gab mir eine Antwort, die mich zunächst überraschte, die aber, auf Grund der Erfahrung die ich in den vergangenen 25 Jahren gemacht habe, wahrscheinlich klingt.

Damals in den 1950er Jahren,” sagte er „waren nicht alle interessiert an einem tiefergehenden Yoga, und so war ich einer der wenigen, die es direkt von Swami Sivananda lernten, die anderen hatten nicht die gleiche Motivation.

 Eine andere Beschreibung der Entstehung von Kriya Yoga

Swami Yogananda schreibt in seiner Autobiographie, dass Kriya Yoga beständig an jede neue Generation von einem nahezu unsterblichen Yogi namens Babaji weitergegeben wird. Nun gibt es in Indien eine Unzahl von Menschen, die Babaji genannt werden, da der Name Baba Mann bedeutet, und Babaji geehrter Mann - genauso wie es Großvater bedeuten kann. Gleichermaßen haben eine Reihe Yogis diesen Namen benutzt, insbesondere nachdem er bekannt geworden war durch Yoganandas amerikanischen Roman, geschrieben von einem Ghostwriter” wie Swami Satyananda einmal sagte, als ich ihm gegenüber das Buch erwähnte. Er erkannte, dass ich, hierdurch inspiriert, in Träumen lebte und dass diese Träume mich daran hinderten, gegenwärtig zu sein und die Dinge und das innere Leben ohne Erwartungen und Ideale zu erleben. Dennoch muss ich sagen, dass dieses Buch für mich einmal ein wirklicher Auslöser war. Es half mir, weiter zu kommen vom gewöhnlichen Yoga, welchen ich zu dem Zeitpunkt jahrelang gekannt hatte, hin zu fortgeschrittenerem Yoga und tantrischer Meditation. Es war ganz bestimmt eine Inspiration.

Dass eine Person wie Babaji mehrere tausend Jahre leben kann, sowohl in einem physischen Körper als auch auf der astralen Ebene, und dort Möglichkeiten zur spirituellen Entwicklung seiner Shishya (Schüler oder Jünger) schaffen kann, ist vielleicht ein wenig zu heftig für viele. Besonders wenn man das Leben mit einer ‚normal’ begrenzten Wirklichkeitsauffassung erlebt. Die damaligen Warnungen meines Lehrers waren jedoch berechtigt: Ich sollte nicht auf der Grundlage solcher Vorstellungen leben, egal ob sie wahr sind oder nicht, sondern selbst handeln und mit meinem Leben weiterkommen.

Obgleich die Yogaliteratur solche Menschen beschreibt, die große spirituelle Kraft erreicht haben und deshalb auch bestimmte Fähigkeiten (Siddhis) besitzen, Fähigkeiten die von Individuum zu Individuum verschieden sind. Eine dieser Fähigkeiten besteht darin, seinen Körper von Zeit zu Zeit neu erschaffen zu können. Hier will ich den kürzlich verstorbenen Dr. Swami Gitananda aus Pondicherry zitieren. Er gibt einen Kommentar zu den Beschreibungen der Yogaliteratur über verschiedene solcher Fähigkeiten:

„Die Fähigkeit den Körper zu entmaterialisieren oder einen neuen Körper zu schaffen. Es gibt viele Geschichten von Siddhas, die hunderte von Jahren alt sind. Eine populäre Geschichte, die noch heute in Indien beharrlich im Umlauf ist, berichtet von einem Siddha, der viele tausend Jahre alt ist und der seinen Körper willentlich entmaterialisieren und materialisieren kann und oftmals jünger erscheint nach der letzten Materialisierung. Ein Siddha ist in der Lage, einen physischen Körper von beliebigem Geschlecht, Zustand oder beliebiger Verfassung wiederherzustellen, so wie es für eine höhere spirituelle Aufgabe erforderlich ist. Diese Körper sind ‚echte Körper’ und nicht extoplasmische, unvollständige Formen, wie sie durch ein okkultes oder psyschisches Medium hergestellt werden. Diese Formen sind nicht von äußeren Kräften heraufbeschworen, sondern stehen, besser gesagt, unter der Führung von innerem Willen.”

Babaji sollte in jeder Generation mit einzelnen Personen Kontakt aufnehmen, die bereit dazu waren, Kriya Yoga von ihm zu empfangen. Lahiri Mahasaya, der Lehrer von Yoganandas Lehrer Sri Yukteswar, war einer dieser Yogis.

Genauso soll Babaji im achten Jahrhundert Kontakt mit Sri Shankaracharya aufgenommen haben, der wiederum Kriya Yoga an seine Nachfolger weiter vermittelte und es somit Teil der Swami Institution wurde.

Seit dieser Zeit ist Kriya Yoga ausschließlich von denen, die die Einweihung als Swami erhalten haben, vermittelt worden.

Wie kann Kriya Yoga für die Nachwelt bewahrt werden?

Wenn eine Kultur auf ihrem Höhepunkt steht, wie die im vorigen Artikel erwähnten Kulturen, so kann man sagen, dass die Menschen ein gemeinsames Weltbild haben. Nicht an etwas Separates glauben, nicht an die Lehre von etwas anderem, nicht an Technik oder Magie, als noch sonst irgendetwas, sondern eine gesammelte Wirklichkeit, in die alle diese Dinge mit eingehen - so ist es, und damit fertig. Wenn die Kultur jedoch verfällt, wenn es bergab geht und ein neuer Anfang am Horizont zu sehen ist, dann gelten andere Regeln. Die Dinge fallen auseinander und werden unterteilt in Kunst, in Religion, in Wissenschaft, in Philosophie, in Medizin oder Psychologie oder bei den Alternativen in Therapie, in ‚Healing‛, in Glauben und Sehnsucht nach etwas, das nicht hier ist, außerirdische Wesen, andere Ebenen usw.

Aber der Mensch ist nicht zerteilt, der Mensch ist ein Ganzes, und das Wachstum und die Reife eines Menschen zielen auf dieses Ganze hin, dahin ein ganzer Mensch zu sein.

Tradition wird oftmals aus reiner Gewohnheit überliefert. Von Zeit zu Zeit tauscht man seinen Glauben aus - hier im Norden hatten wir, so wie es sich ahnen läßt, die Vanen, danach die Asen (= diejenigen, die aus Asien kommen), dann den Katholizismus, dann die Reformation, dann die Zeit der Aufklärung, dann die Wissenschaft, dann den Atheismus und schließlich das politische und wirtschaftliche Weltbild.

Wie ist es mit Yoga und den tieferen spirituellen Werten, dem spirituellen Suchen und echter Tradition? Ja, zu allen Zeiten hat es Mystiker (= Eingeweihte) gegeben. Entweder waren sie in der Öffentlichkeit tätig und haben ihrer Gesellschaft etwas wertvolles gegeben – oder sie haben im Verborgenen gewirkt, damit einzelne Menschen den Kontakt mit dem Spirituellen bewahren können, sodass­­ die Tradition nicht auf dem Weg ausstirbt, bis Zeiten kommen, in denen der Mensch wieder verstehen wird, sie zu nutzen.

In Tibet zum Beispiel sandten die Familien früher mindestens einen Sohn ins Kloster, um Mönch zu werden und die spirituelle Tradition zu bewahren; heutzutage tut dies vielleicht noch eine von zwanzig Familien. Wann erlosch die Glut, wann vergaß man eine Wirklichkeit mit Kraft und Licht, wann wurde es Pflicht und Gewohnheit? Und kann man die Mystik überhaupt mit Bewegungen vergleichen, die zu Religionen werden und ihren Glauben hauptsächlich auf äußere Autoritäten gründen, wie es in höchstem Maße in Tibet geschehen ist?

Wer kann unterscheiden zwischen einer wirklich lebenden Ganzheit und dem Zerteilten, dass aus Gelehrsamkeit, Auswendiggelerntem, und Programmierung besteht sowie einem ‚Glauben‛, den man vorzeigt oder über den man spricht und zu dem man verpflichtet ist?

Ja, die Mystik ändert sich nicht von Zeit zu Zeit, wie es Glaubensbilder oder Mythologien tun. Das mystische Erlebnis verbleibt dasselbe von Kultur zu Kultur von Zeitalter zu Zeitalter, überall auf der Erde. Es basiert auf Suche, auf Methoden und auf echter Erfahrung.

Ritual oder Meditation?

Fragt man verschiedene Menschen was Tantra sei, so wird der indische Pandit (Gelehrte) sagen, dass Tantra die Quelle des Wissens von Mantra sei, der Einwirkung von Klängen und Silben auf den Geist und damit auf unsere Wirklichkeit. Gewisse Yogis werden Tantra als den Yoga der Rituale beschreiben. Andere sprechen von Yantra, bestimmten Formen um kosmische Energie hervorzurufen und zu kanalisieren, oder von Chakra (besprochen im ersten Teil des Artikels). Und dann gibt es diejenigen, die etwas oberflächlicher und sensationsuchender eingestellt sind, die sagen werden, dass Tantra aus Sex bestehe; selbstverständlich tut es das auch, aber dies ist nur ein kleiner Teil von Tantra. Auf Grund einer neurotischen Einstellung zum Sex, von verschiedenen Menschen und in verschiedenen Zeiten, wie z. B. unserer Zeit, wird dieser 64. Teil jedoch so aufgeblasen, dass er den gesamten Horizont füllt. Egal wie wertvoll die sexuellen Rituale sein mögen (siehe u. a. mein Buch  Yoga, Tantra und Meditation im Alltag, Seite 86 bis 91), so ist dies lediglich eine Möglichkeit von vielen, für die Menschen, die davon Gebrauch machen möchten. Und wenn man mich fragt, so beinhaltet Tantra vor allem Yoga und Meditation, wenn es mehr ist als nur etwas Gymnastik für den Hausgebrauch.

Hypnose oder eine innere höhere Wirklichkeit

Rituale sind in allen Religionen und geheimen Verbindungen wichtig, aber sind sie notwendig für den spirituell Suchenden? Es kommt vor, dass Yogis, die zu einem Zeitpunkt sehr aktiv in ihrem Sadhana waren (in ihrer Praxis und Arbeit mit sich selbst), sich den Ritualen ihrer Tradition zuwenden. Als ich jünger war, war ich der Meinung, dass es zwei Sorten von Ritualen gäbe: die eine um die Schäfchen beieinander zu halten und dazu zu inspirieren, am religiösen Weltbild festzuhalten und es zu stärken, und die andere ausschließlich um den Geist zu öffnen und das Bewusstsein zu erweitern. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher über den Unterschied, wenn ich meinen Mitmenschen und deren Wirklichkeitserleben den größtmöglichen Respekt erweisen will.

Und selbst wenn ich meinerseits nicht wünsche, dass alle möglichen Rituale mein Leben dominieren, so muss ich doch deren Bedeutung in der folgenden kurzen Geschichte anerkennen: Als der Vietnamkrieg vorüber war und die Soldaten in die USA zurückkehrten, folgten viele Tragödien in seinem Kielwasser. Die Veteranen waren physisch und psychisch gebrochen und erschreckend viele überwanden niemals die Schäden, die sie vom Krieg bekommen hatten. Eine Gruppe jedoch befreite sich auf uralte Weise vollständig von den Nachwehen. Dies waren die heimgekehrten Indianer, die ja auch als Soldaten hatten dienen müssen. Als sie zurück kamen, nahmen sie an den traditionellen Tänzen und Ritualen teil, die man seit Jahrhunderten für heimgekehrte Krieger gebraucht hatte. Auf diese Weise beendeten sie dieses Kapitel ihres Lebens in Übereinstimmung mit Himmel und Erde.

Ritual und Meditation

Kriya Yoga ist ein Ritual von bestimmten, zu gewissen Zeiten heimlich gehaltenen Yogaübungen für Körper und Geist, und gleichzeitig eine der harmonischsten und wirkungsvollsten Meditationen der Welt.

Natürlich kann man etwas Yoga machen, einfach als tägliche Übung, und dadurch eine Wirkung spüren. Der Kopfstand z. B. wirkt, egal welche Vorstellungen du hast oder wie du eingestellt bist. Dasselbe gilt auch für alle anderen Übungen und Meditationen dieser Tradition. Die Harmonie, die in Körper und Geist entsteht, scheint jedoch denjenigen einen weiteren Blick aufs Leben zu geben, die diese Methoden benutzen. Die russischen Kommunisten studierten die Atemübungen des Yoga bereits in den 1930er Jahren und hatten auch weiterhin Interesse an Yoga u. a. in Verbindung mit dem Raumfahrtprogramm der Kosmonauten. Aber sie stellten gleichzeitig fest, dass es nicht so leicht war die Menschen, die Yoga benutzten (hier besonders die Atemübungen), in einem starren Weltbild festzuhalten, dass auf engsichtigen materialistischen Dogmen beruhte. Mit anderen Worten: Aus dieser Forschung entstand bei den Machthabern eine Angst, dass das Volk die spirituelle Perspektive entdecken könnte.

Wer Kriya Yoga kennt und es nur als eine Zusammensetzung von fortgeschrittenen Yoga- und Meditationsübungen behandelt, kann unendlich mehr davon haben, sowohl was Kraft als auch tiefe Harmonie betrifft, wenn er oder sie es versteht, diese wunderbaren Meditationen als ein Ritual zu nutzen. Man muss die Bedeutung des Begriffes Ritual aber im tantrischen Sinne verstehen. Es sind keine Rituale, die dazu bestimmt sind, die Leute in konventionellen oder bürgerlichen Rahmen festzuhalten. Dies ist eine Handlung, die man ausführt, um das Bewusstsein zu erweitern und zu befreien. Das Wort Tan-tra zeigt dies: Tanoti bedeutet erweitern und trayate befreien.

Rituale müssen benutzt werden, so wie ein tantrisches Ritual ausgeführt wird, auf eine Weise, die ununterbrochen dein ganzes Wesen beschäftigt, inklusive Körper und Geist, aber auch das, zu dem man am Ende der Meditation gelangt, das was über Körper und Geist hinausreicht, die Seele, wenn man so will und das Selbst.


Das Thema ist hiermit nicht erschöpft und wird es wohl in dieser Artikelserie auch nicht werden, da Kriya Yoga vor allem eine praktische Sache ist – etwas das man tut und erlebt. Daher will ich diese Serie fortsetzen, mit Themen wie:

Voraussetzungen für das Erlernen und den Gebrauch von Kriya Yoga; die Balance zwischen dem Inneren und dem Äußeren; was ist Kriya Yoga? Die Einweihung und die Rolle des Lehrers; Yoga als Wissenschaft und als mystische, spirituelle Tradition.

>>> Weiter: Zeit zum Lernen… Zeit zur Einsicht… Zeit zum Unterrichten…